Eine bemerkenswerte Sammlung von rund 70 Daguerreotypien wird im GRASSI aufbewahrt, die 2004 nach gründlicher wissenschaftlicher Aufarbeitung (durch Eberhard Patzig) in das Katalogbuch „Der gefrorene Augenblick – Daguerreotypie in Sachsen 1839–60“ (siehe unter FORSCHUNG) aufgenommen wurden.
Der Grundstock dieser Sammlung wurde durch eine Stiftung des Leipziger Fotografenmeisters und Stadtrates Sander gebildet, mit der 1918 eine beachtliche Zahl dieser Inkunabeln aus dem ehemaligen Besitz der bedeutenden Leipziger Fotografiepionierin Bertha Wehnert-Beckmann in das Grassimuseum gelangte. In diesem Bestand konnten mehrere Porträts der Fotografin selbst; aber auch ihres Mannes, des Daguerreotypisten Eduard Wehnert, identifiziert werden. Daneben handelt es sich hauptsächlich um Porträtaufnahmen verschiedener in Leipzig wirkender Persönlichkeiten. Auch besitzt das Museum eine kleine Zahl Daguerreotypien anderer deutscher Lichtbildner sowie ein Konvolut von Daguerreotypien aus Amerika. Aus letzterem ragt das Bildnis der legendären Tänzerin und Geliebten des bayerischen Königs Ludwig I. Lola Montez hervor, aufgenommen um 1852 von den in New York tätigen Gebrüdern Meade.
Rund drei Dutzend Daguerreotypien wurden von mir restauriert bzw. konserviert, wobei die meisten nach behutsamer Öffnung und Reinigung mit neuen Glasscheiben versehen wurden. Schwerer Glaszerfall war in den meisten Fällen die Diagnose. Zahlreiche Scans sicherten Einblicke in das „Innere“ der demontierten Silberbilder. Einige wenige Objekte, die bis zur Unkenntlichkeit angelaufen waren, konnten mittels der Methode des electro cleaning vom Silbersulfid befreit werden. Dazu zählte auch das große Bildnis einer jungen Frau, einer Aufnahme von Bertha Wehnert-Beckmann im Format der ganzen Platte. Leipzigs große Fotografin Wehnert-Beckmann hat ein ganz außerordentliches Werk hinterlassen, in das sich das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig und das GRASSI Museum für Angewandte Kunst teilen.
Bertha Wehnert-Beckmann: Porträt einer brieflesenden Frau (Daguerreotypie, ganze Platte) vor der Restaurierung. Durch Bildung von Silbersulfid ist das Motiv nur noch schemenhaft zu erkennen. Durch die Entfernung des Silbersulfids konnte ein wichtiges Belegstück der Fotografiegeschichte wiedergewonnen werden. Nicht immer wirken Erhaltungsmaßnahmen an Daguerreotypien so visuell spektakulär. In den meisten Fällen sind die für den Erhalt absolut notwendigen Arbeiten ’unsichtbar‘.