Tableau mit mehreren Reliefintarsien (Detail) . Rüstkammer Dresden

Reliefintarsien aus Eger

Jochen Voigt

Reliefintarsien aus Eger
für die Kunstkammern Europas

Ausstellungskatalog zur gleichnamigen Ausstellung
im GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig
Verlag Janos Stekovics, Halle 1999

Mit dem Fenstersturz zu Prag 1618 brach der Dreißigjährige Krieg über Europa herein. Die Niederlage des Winterkönigs in der Schlacht am Weißen Berg zerstörte in Eger alle Hoffnungen, die darauf abzielten, in den rebellierenden protestantischen Ständen Böhmens Unterstützung für die lutherisch gewordene Stadt zu finden. Etwa 150 000 Menschen, darunter 200 Adelsfamilien, verließen im Verlaufe des 17. Jahrhunderts ihre böhmische Heimat.

Eger war seine überaus günstige geographische Lage am Eingangstor zu Böhmen zum Verhängnis geworden, denn dieser strategisch nutzbare Umstand weckte die Begierde des Kaisers und seiner protestantischen Gegner gleichermaßen. Traurige Weltberühmtheit erlangte die Stadt, als der mächtigste Mann jener Zeit, Albrecht von Wallenstein, und seine Offiziere in der Nacht vom 24. zum 25. Februar 1634 hier niedergemetzelt wurden. Der Dreißigjährige Krieg und die politischen Konstellationen nach Abschluß des Westfälischen Friedens 1648 trieben Stadt und Land Eger an den Rand des Ruins.

Dass Eger im 17. Jahrhundert zu einem außergewöhnlichen Zentrum der Intarsienkunst aufgestiegen war, ist wenig bekannt. Kaiser, Fürsten und Herren bildeten die wohlhabende und einflussreiche Käuferschicht für die beliebten Kabinettschränke, Spielbretter, Kunstkästchen und separat gerahmten Einzelbilder, die sich heute weltweit verstreut in Museen und Privatsammlungen befinden. Erstaunlicherweise hatte die Kunst der Reliefintarsia mitten im Dreißigjährigen Krieg ihren Ursprung, als an anderen Orten jeglicher Kunstbetrieb zum Erliegen kam. Die immer schwieriger werdende Situation der Stadt Eger, die während des Krieges mehrmals in verschiedene Hände geriet, ließen das Egerer Stadtregiment häufig Kunstkammerstücke der Egerer Intarsienkünstler kaufen, um sich die Mächtigen gewogen zu machen und Unheil von der Stadt abzuwenden. So dienten diese Ehrengeschenke als politische Instrumentarien.

Inmitten der schrecklichen Drangsale begann damit eines der interessantesten Kapitel europäischer Einlegekunst. Dass die Herstellung von Luxusgütern mitten im Krieg nicht unbedingt einen Widerspruch darstellen muss, zeigen beispielsweise das Goldschmiedehandwerk von Nürnberg und das Goldschmiede- bzw. Kunsttischlerhandwerk von Augsburg. Zwar riefen die Kriegslasten auch dort einen gewissen Rückgang herbei, doch führten sie keineswegs zum Erlöschen.

„Wir betrachten es als ausgesprochenen Glücksfall, an der Verwirklichung dieses ebenso anspruchsvollen wie lohnenden Projektes durch die Aufnahme in unser Ausstellungsprogramm anläßlich des 125. Gründungsjubiläums unseres Museums mitwirken zu können. In rund 15jähriger Forschungsarbeit sichtete Prof. Jochen Voigt einen umfangreichen, international weit verstreuten Objektbestand und unterzog das vorhandene Quellenmaterial eingehenden wissenschaftlichen Untersuchungen. So wurde es auf der Grundlage der vorangegangenen Einzelforschung möglich, die Entwicklung der Reliefintarsia nachzuvollziehen und erstmals umfassend darzustellen.“

Dr. Eva Maria Hoyer
Direktorin des GRASSI Museums für Angewandte Kunst Leipzig
im Geleitwort zum Ausstellungsbuch 1999
 

Rezension in Kunstchronik

„Verglichen mit dem Interesse der Forschung an  Metropolen des Kunsthandwerks war die Literatur über Eger und seine Reliefintarsien eher unbedeutend. Das Forschungsfundament hat Heribert Sturm (1904-81) gelegt, der letzte deutsche Stadtarchivar von Eger. Sein Buch Egerer Reliefintarsien (München 1961) bietet auf der Grundlage umfangreichen Quellenmaterials - vor allem der Ausgabenbücher der Stadt Eger - eine Zusammenstellung der Egerer Intarsienmeister und gibt wertvolle Aufschlüsse über ihre soziale und wirtschaftliche Lage, wie auch über Abnehmer und Verbreitung der Arbeiten.

Schon Sturms Pionierleistung hatte das Fehlen einer vertiefenden kunsthistorischen Behandlung des Themas in seiner vollen Weite ins Bewußtsein gerufen. Diese Lücke hat jetzt Jochen Voigts reich illustrierter Prachtband gefüllt, der zu einer Ausstellung im Sommer 1999 im Grassimuseum in Leipzig – mit ihm als Kurator – erschien, sich aber als eigenständige Monographie präsentiert. Voigt stellt zwar nicht das gesamte ihm bekannte Material zusammen (»Selbstverständlich mußte eine gezielte Auswahl getroffen werden, um ein handhabbares Buch entstehen zu lassen«, schreibt er in der Einleitung), doch bespricht er viele unveröffentlichte Arbeiten und beantwortet die vorrangigen Fragen der Forschung.

Voigt ist Restaurator von Beruf, und mehrere der Möbel und Bildtafeln sind durch seine Hände gegangen, um konserviert oder restauriert zu werden. Das bürgt für eine spezielle Kompetenz des Verfassers hinsichtlich Materialien und Technik, die für das Verständnis einer Gattung wie der Reliefintarsie von großer Wichtigkeit ist. Seine kunsthistorische Kompetenz äußert sich aber ebenso eindrucksvoll in seinem Bericht über Werkstätten und Meister, in der Deutung der Ikonographie, im Bestimmen graphischer Vorlagen und in der fundierten Charakterisierung und künstlerischen Beurteilung der einzelnen Künstler.

Den bereits identifizierten Vorlagen fügt Voigt im Kapitel »Themenvielfalt und graphische Vorlagen« noch weitere hinzu. Jede Werkstatt scheint einen eigenen Vorrat gehabt zu haben, auf den sie gern zurückgriff, was die Bestimmung von Meistern und Werkstätten erleichtert.“

»Die Vielschichtigkeit der Bildthemen [...] steht einzigartig innerhalb der Intarsienkunst« (Voigt). Häufig begegnen biblische und mythologische Motive, vor allem aus Ovids Metamorphosen, sowie römische Geschichte nach Livius, aber auch Zeitgeschichte unter Rückgriff auf Johann Ludwig Gottfriedts Historische Chronica und Merians Theatrum Europaeum. Hinzu kommen adlige Betätigungen wie die Jagd sowie konventionelle Allegorien von Zeit und Raum, die fünf Sinne, Tugenden und Laster, Artes liberales. Auch die Commedia dell’arte kommt vor, am häufigsten beim Meister mit dem ornamentierten Hintergrund. Illustrierte Bücher wie auch Einzelblätter haben Vorlagen geliefert: von Matthaeus Merian d. Ä., Crispin van de Passe, Adriaen Collaert, Johann Sadeler, Philipp Galle, Wenzel Hollar, Jeremias Falck und Jacques II de Gheyn u. a.
Im übrigen läßt Jochen Voigts Buch nur wenig unbemerkt. Es behandelt mit Akribie und Weitblick eine exquisite Werkgruppe unter den verschiedensten Aspekten und stellt eine wechselvolle Periode im Leben einer Stadt vor, die damals größer war als Leipzig und Heidelberg und gleich groß wie Mainz, Trier, Basel oder Zürich.“

Rezension (auszugsweise) von Prof. Dr. Hans-Olof Boström,
in: Kunstchronik, Band 54 Nr. 12, München 2001.
 

Abbildungen (von oben nach unten)

Adam Eck zugeschrieben: Tableau mit Reliefintarsien eines zerlegten Kabinettschrankes, Rüstkammer, Staatliche Kunstsammlungen Dresden.

Meister mit dem ornamentierten Hintergrund: Kabinettschrank, Kunstgewerbemuseum Prag.

Meister mit dem ornamentierten Hintergrund: Kabinettschrank, Museum Angewandte Kunst Frankfurt a. Main.

Unbekannter Meister: Christus am Kreuz, Einzelplatte, Grünes Gewölbe, Staatliche Kunstsammlungen Dresden.

Johann Georg Fischer: Zwei Spielsteine zum Brettspiel des sächsischen Kurfürsten Johann Georg I., Grünes Gewölbe, Staatliche Kunstsammlungen Dresden.

Alle Fotos aus dem oben besprochenen Band