Eva Haupt, Jochen Voigt, Sybe Wartena
Im 2020 eröffneten Sudetendeutschen Museum wird die Sammlung Egerer Reliefintarsien des nach England ausgewanderten Textilfabrikanten Erich W. Pasold verwahrt. Zum ersten Mal wurden diese Arbeiten 2021–22 kunsthistorisch und kunsttechnologisch näher erforscht und die Ergebnisse in einem opulenten Katalogbuch publiziert. Die Ausstellung „Allerley Kunststück“ zeigte alle Objekte der Sammlung Pasold sowie weitere Stücke aus dem eigenen Bestand, dem Bayerischen Nationalmuseum und dem Egerlandmuseum Marktredwitz.
Voigt: „So haben beispielsweise neue Funde das Wissen über den „Meister mit dem ornamentierten Hintergrund“ stark erweitert und ein durchaus neues Licht auf die Frühzeit der Egerer Intarsienkunst werfen können.
Es gelang der Nachweis, dass dieser Meister mit dem Notnamen neben seinen Reliefintarsien auch zahlreiche flache Intarsien schuf. Eine ganze Werkgruppe konnte dafür ermittelt werden. An einigen Objekten kommen beide Techniken gleichzeitig vor. Diese Erkenntnisse führten zur Gewissheit, dass dieser Meister schon sehr früh (1619) gearbeitet haben muss. Die bisher angenommene Erfindung der Reliefintarsia durch Adam Eck ist dadurch ins Wanken gekommen.
Besonders aufregend für mich war die Entdeckung, dass flache Intarsien des „Meisters mit dem ornamentierten Hintergrund“ in den berühmten Kabinettschrank von Gustav Adolf integriert wurden (Kunstsammlungen der Universität Uppsala). Philipp Hainhofer, der Inventor des Kunstschrankes, kaufte offenbar zwischen 1625 und 1631 sieben Intarsientafeln des Meisters und baute sie im Herzstück des Schrankes, also im Mittelfach, ein. Insgesamt sind dort zehn Tafeln zu finden, doch stammen drei von ihnen von einem anderen, noch unbekannten Künstler.
Die sieben hier interessierenden Intarsientafeln des „Meisters mit dem ornamentierten Hintergrund“ weisen m.E. zweifelsfrei vollkommen übereinstimmende Merkmale auf, durch die sie eine Werkgruppe bilden.
Die erste Bildtafel zeigt zwei betrunkene und deshalb raufende Kartenspieler, während ein dritter Mann schlichtend dazwischen geht. Auf dem Tisch ist eine Kanne umgestürzt, deren Inhalt sich auf den Boden ergießt. Das zweite Bild zeigt wohl drei würfelnde Strolche, die sich an einer geraubten Truhe zu schaffen machen.
Die anderen sechs Platten zitieren Architekturen in Augsburg. Eine von ihnen „zeigt schutzsuchende Frauen, Kinder und Männer, die sich in einem Zug auf ein Stadttor Augsburgs, dem Roten Tor zubewegen. Im Hintergrund ist die Kirche St. Ulrich und Afra zu erkennen.“ (1) Im Bildvordergrund wird eine Familie gezeigt, die zu den Schutzsuchenden gehört. Die vorangehende Frau trägt auf dem Rücken eine Wiege mit Kind, ihr folgt ein Junge. Den Schluss bildet eine Frau mit einem auf den Rücken geschnallten Tornister. In der Rechten trägt sie einen Speer, mit der Linken hält sie den Hund an der Leine. Auch diese Intarsia zeigt alle Merkmale unseres Meisters inklusive der anatomischen und perspektivischen Verzeichnungen. Die Brandschattierung ist moderat eingesetzt.
Eine vierte Intarsia zeigt die Fassade des Zeughauses von Augsburg. Die Figurengruppe, die sehr frei nach dem Original gestaltet ist, trägt fast karikierende Züge. Man möchte meinen, der Meister hat die Bronzegruppe nie gesehen, denn Erzengel Michael erscheint mit Seelenwaage und Helm. Beides sind zwar Attribute Michaels, aber nicht an der von Hans Reichle gegossenen Bronzefigur in Augsburg zu finden. Auch die beiden Assistenzfiguren und der niedergeworfene Luzifer haben andere Körperhaltungen. Möglicherweise liegt dem Ganzen eine grobe Skizze des Auftraggebers zugrunde; und der ikonografisch gebildete „Meister mit dem ornamentierten Hintergrund“ hat den Erzengel nach bestem Wissen frei gestaltet. John Böttiger, der dem Schrank ein umfangreiches Werk widmete, hat wegen der Augsburg-Bezüge der Intarsien an einen Augsburger Meister gedacht, jedoch auch die vielen Ungereimtheiten bemerkt und deshalb einschränkend formuliert: „[...] obwohl es andererseits eigenthümlich erscheint, dass ein so bekanntes Monumentalbauwerk wie das Zeughaus so frei wiedergegeben worden ist, dass man fast den Eindruck gewinnt, als sei es aus dem Gedächtnis geschehen.“ (2)
Auf dieser Intarsia fällt die eigenwillige Gestaltung der Butzenscheibenfenster auf, weshalb wir auch eine weitere Bildplatte mit Darstellung einer „Tischlerwerkstatt“ unserem Meister zuordnen müssen, denn dort kehren sie in völlig analoger Technik wieder. Die „Tischlerwerkstatt“ hat inzwischen ein Eigenleben entfaltet, denn dieses für die Intarsiengeschichte und Möbelhistorie ebenso interessante wie seltene Bild hat Eingang in ungezählte Publikationen gefunden. Man kann auf ihm sehen, dass einer der dargestellten Tischler mit einem Spannkloben arbeitet, wenn er seine Intarsien sägt. Dieses Hilfswerkzeug wurde in die Hobelbank eingesetzt und ist ein Vorläufer des im 18. Jahrhunderts in Gebrauch gekommenen „Esels“. Auch in den Egerer Werkstätten kann man es sich gut vorstellen, zumal der Schöpfer dieser Darstellung ja selbst zu diesem Umfeld gehörte.
Die letzten beiden der sieben Intarsien unserer Gruppe zeigen wiederum Soldaten und einen Offizier vor einem Augsburger Stadttor, sowie einen Offizier zu Pferd und zwei Soldaten (ohne Abb.) vor einem Gebäudeensemble.
Anhand der Intarsien im Mittelgelass lässt sich eine sehr verlässliche Aussage machen über ihr optisches Erscheinungsbild zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges, denn sie befinden sich seit Jahrhunderten im Schrank verborgen, wo sie keine farbverändernde UV-Strahlung erreichen konnte. Ganz bemerkenswert ist der Spänemarmor, der das Portal des Zeughauses bildet. Er ist wesentlich farbfrischer, als man es von Intarsien kennt, die dem Licht ausgesetzt waren.
John Böttiger beschrieb den Gustav-Adolf-Schrank in vier Bänden eingehend (3); und auch Hans-Olof Boström widmete ihm eine umfassende Monografie (4). Böttiger hat die Intarsien als „sehr mittelmäßig ausgeführte Arbeiten“ (5) empfunden. Auch Boström war die kritisierte Naivität der Intarsien aufgefallen, doch bedachte er sie mit einer wesentlich differenzierteren Betrachtung, der ich mich anschließen möchte. (6)
Abgesehen vom hohen kulturhistorischen Wert der Bilder, welche die Stadt Augsburg als wehrhafte Stadt und weithin bekannte Fabrikationsstätte für Kunstkammermöbel feiern, verstrahlen die aus vielen Hölzern zusammengesetzten Motive in ihrer Dichte einen hohen Reiz, dem sich wohl auch die Zeitgenossen nicht entziehen konnten – andernfalls wären die Bilder nicht ausgewählt und eingebaut worden. Trotzdem hätte man gern gewusst, welcher Natur die Verbindungen zwischen der Intarsienwerkstatt und Philipp Hainhofer gewesen sind.
Mit Sicherheit haben sich weitere flache Intarsien des „Meisters mit dem ornamentierten Hintergrund“ erhalten, die noch ihrer Identifizierung harren. Hainhofer muss einige Arbeiten gesehen haben, ehe er einen so spezifischen, auf Augsburg ausgerichteten, Auftrag vergeben hat.
Es bleibt zu hoffen, dass die hier vorgestellten Zusammenhänge und stilistischen Eigenheiten in Zukunft zu weiteren Entdeckungen führen werden, die uns ein genaueres Bild von den frühen Aktivitäten dieser Werkstatt vermitteln. Im Übrigen ist ähnlich wie bei Adam Eck davon auszugehen, dass auch der „Meister mit dem ornamentierten Hintergrund“ Mitarbeiter und Gehilfen beschäftigt hat, da die Produktion – besonders in der Spätphase – beträchtliche Ausmaße annahm. Insbesondere die großen Kabinettschränke, unter ihnen das Kabinett General Wrangels im schwedischen Schloss Skokloster (7), konnten unmöglich von einem einzelnen Künstler bewältigt werden.
Weiter Ausführungen und zahlreiche Reliefintarsien finden sich im Katalogbuch, das im Buchhandel und direkt im Sudetendeutschen Museum erhältlich ist.
(1) Dieter Alfter: Die Geschichte des Augsburger Kabinettschranks, Augsburg 1986, S. 11.
(2) John Böttiger: Philipp Hainhofer und der Kunstschrank Gustav Adolfs in Uppsala, 4 Bde., Stockholm 1909–1910, hier Band II, S. 37.
(3) Böttiger bildete erstmals alle zehn Intarsien des Schrankes auf Lichtdrucktafeln ab.
(4) Hans-Olof Boström: Det underbara skåpet: Philipp Hainhofer och Gustav II Adolfs konstskåp, Stockholm 2001.
(5) Böttiger 1909-1910, Bd. 2, S. 37.
(6) Neuestens reflektiert auch Michael Wenzel: Philipp Hainhofer. Handeln mit Kunst und Politik, 2020, S. 259 ff. Dass der Stolz auf die alte Augsburger Tischlerkunst durch die „eher groben Arbeiten“ (wie Wenzel die Intarsien sieht) unterlaufen würde, kann ich so nicht nachvollziehen. Die Intarsien sind zwar naiv, aber nicht handwerklich minderwertig. Ihre vermeintlich „buntfarbige“ Ausführung rührt auch daher, dass die Intarsien sich vor dem Licht geschützt im Inneren befinden. Die meisten Intarsien dieser Zeit müssen wir uns farbiger vorstellen, als wir sie heute sehen. Es handelt sich m.E. also nicht um Erzeugnisse eines billigen Geschmacks bzw. für einen „erst zu bildenden Geschmack des dort dargestellten Aufsteiger-Militärs“ geschaffene Arbeiten, zumal der Empfänger des Schrankes zu Zeiten seiner Entstehung noch gar nicht feststand. Hainhofer hätte sich vermutlich nicht für die Intarsiensequenz entschieden, wenn er sie als armselig betrachtet hätte, zumal er als Schreiner seines Projekts den wohl versiertesten und künstlerisch begabtesten Augsburger Kistler engagiert hatte, der zu bekommen war, nämlich Ulrich Baumgartner d.Ä.
(7) Hans-Olof Boström: Ett Eger-skåp på Skokloster: En ikonografisk studie, Häftad 1972. Eine Beschreibung des Möbels sowie die Zuschreibung an den „Meister mit dem ornamentierten Hintergrund“ bei Jochen Voigt: Für die Kunstkammern Europas. Reliefintarsien aus Eger. 1999, S. 275 ff. Ich danke Prof. Dr. Hans-Olof Boström für die seinerzeit großzügig überlassene Fotodokumentation des Schrankes, die mir bis heute gute Dienste geleistet hat.
Ich danke Dr. Mikael Ahlund, Direktor des Museums Gustavianum, und Dr. Greger Sundin, Kurator an der Kunstsammlung der Universität Uppsala, für die Bereitstellung der Fotos und für den Gedankenaustausch. Mein Dank gilt auch dem Sudetendeutschen Museum München und seinem Direktor Dott. Stefan Planker für Bereitstellung und Veröffentlichungserlaubnis des Videos „Die Herstellung von Engerer Reliefintarsien“. Das Video wurde speziell für die Ausstellung „Allerley Kunststück“ produziert.
Alle Abbildungen aus dem Buch „Allerley Kunststück“ (ganz oben der Kunstschrank Gustav Adolfs im Museum Gustavianum, darunter die einzelnen Bildplatten).