2022 bis 2024 entwickelte Jochen Voigt ein neues gestalterisches und inhaltliches Gesamtkonzept für das Museum Schloss Wolkenstein
Auftraggeber: Stadt Wolkenstein.
Schloss Wolkenstein im gleichnamigen Erzgebirgsort ist im Besitz der Kommune, die in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen hat, um Dach und Fassaden des Baudenkmals zu restaurieren. Nach Abschluss dieser Maßnahmen soll 2024 der in früheren Zeiten abgebrochene Westflügel durch einen Glasbau ersetzt werden, womit sich der Innenhof des Schlosses wieder schließt und zugleich mittels Fahrstuhl ein barrierefreier Zugang ermöglicht werden soll. Parallel laufen Untersuchungen, das aus einer Heimatstube hervorgegangene Museum im Schloss neu zu strukturieren und vollkommen neu zu gestalten. Jochen Voigt wurde mit der Gesamtkonzeption betraut. Die Ergebnisse wurden am 24. April 2023 dem Stadtrat vorgestellt und dienen als Ausgangsbasis für alle kommenden Maßnahmen.
Ein Highlight des neuen Museums soll die prächtige Amethyst-Ausstellung werden, die erst dank der vom Stadtrat beschlossenen Annahme einer großen Schenkung möglich geworden ist. Hunderte Amethyste vom kleinen Schmuckstück bis zum tonnenscheren Brocken sollen auf eindrucksvolle Weise daran erinnern, dass Wolkenstein und Umgebung einstmals zu den wichtigsten Amethyst-Vorkommen in Europa gehörte. Prof. Voigt und die Museologen haben lange darüber nachgedacht, wie man eine solche Fülle gleichartiger Edelsteine präsentieren kann, ohne dass sich das Gefühl von Wiederholung einstellt. Was den Spezialisten interessiert, muss nicht jeden Besucher gleichermaßen ansprechen. Die Lösung besteht erstens in deiner dezentralisierten Darbietung (es sollen die Amethyste über zwei Stockwerke verteilt gezeigt werden), zweitens in der Unterbringung in drei Räumen mit vollkommen unterschiedlichem Charakter und drittens: in jedem Raum wird der Amethyst unter anderen Gesichtspunkten vorgestellt.
Im Erdgeschoss, direkt neben dem Foyer, soll das sogenannte „kleine Amethystgewölbe“ den Museumsrundgang eröffnen. In diesem mittelalterlichen Gewölberaum wird unter mundgeblasenen Glasstürzen und von Glasfaserlicht ausgeleuchtet eine Auswahl der schönsten Amethyste der Schenkung gezeigt. Kombiniert mit Gefäßen und Instrumenten wird daran erinnert, dass der Amethyst in der Alchemie eine wichtige Stellung einnahm, denn man schrieb ihm wundersame Kräfte zu. Herzog Heinrichs Sohn August, der spätere Kurfürst von Sachsen, soll bereits hier in Wolkenstein als junger Mann ein kleines Laboratorium unterhalten haben.
Der zweite Amethystraum wird der große Ecksaal im ersten Obergeschoss sein, dessen Fenster in Richtung Rathaus zeigen. In diesem Saal wird man alles Wichtige über den Amethyst, dessen Gewinnung und seine Verarbeitung erfahren können. Die einzelnen Fundorte im Erzgebirge werden vorgestellt. Dieser Museumsraum wird im klassischen Sinne Wissen vermitteln.
Beim dritten Raum handelt es sich um das sogenannte „große Amethystgewölbe“, einen imposanten Gewölberaum mit meterdicken Wänden, der sich im Untergeschoss des mittelalterlichen Wohnturmes befindet. Der Wohnturm, das mächtige Bauwerk direkt neben der Tordurchfahrt, soll nun erstmals für das Museum erschlossen werden. Es ist die wohl wichtigste Neuerung, endlich den brach liegenden Wohnturm – der das älteste und imposanteste Teil des Schlosses darstellt – in die Nutzung einzubeziehen.
Das „große Amethystgewölbe“ besitzt eine wunderbare Akustik, weshalb in diesem Raum die historischen, im Museum aufbewahrten Glocken aufgebaut werden sollen. Der Besucher darf die großen beleuchteten Amethystbrocken in diesem Gewölbe berühren und er darf die Glocken selbst anschlagen – nach Ideen Jochen Voigts soll eine Art Raum der Sinne für Auge, Ohr und Hand entstehen.
Als zweite Attraktion mit Alleinstellungsmerkmal entwickelte Voigt die Idee einer Silberkammer, die für das erste Stockwerk konzipiert ist. Als moderne Interpretation soll der einstige Tresorraum des Schlosses wiederentstehen, der in Spätmittelalter und Renaissance der Aufbewahrung von Silbermünzen, Silberbarren und dem Tafelsilber diente. Realisiert werden könnte diese Idee mittels einer zu erwerbenden privaten Sammlung versilberter Tafelgeräte, wie Wein- und Champagnerkühler, Terrinen, Tischleuchter, Schüsseln und Schalen für Gebäck, Obst, Kaviar und andere Leckereien, Tee- und Kaffeekannen, Zuckerdosen, Menagerien, Bestecke und vielem mehr.
Das Besondere an dieser Installation wäre der Umstand, dass es sich um beeindruckende Leistungen der klassischen Moderne handelt, also um Silberobjekte aus den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Nur wenige Menschen wissen heute noch, dass sich im erzgebirgischen Aue bis 1945 eine der bedeutendsten Hotelsilberfabriken Europas befunden hat, die nicht nur Luxushotels, Eisenbahnen und Luftschiffe in der ganzen Welt ausstattete, sondern auch die größten Luxusliner ihrer Zeit. Ein Drittel aller vorgesehenen Objekte stammt aus der Wellner-Fabrikation. Den Silberobjekten von Wellner könnten zahlreiche andere Stücke aus Firmen in Frankreich, Italien, Österreich und Deutschland gegenübergestellt und damit sichtbar gemacht werden, dass die erzgebirgische Fabrik auf der Höhe ihrer Zeit stand.
Ein drittes Highlight des neuen Museums könnte nach Ideen Jochen Voigts der Heinrich-Saal im zweiten Stockwerk sein, ein Ausstellungbereich, der sich dem prominentesten Besitzer und Bewohner des Wolkensteiner Schlosses widmet – Herzog Heinrich dem Frommen.
Auf dem Marienberger Marktplatz steht das große imposante Denkmal Heinrichs, im Freiberger Dom in der Grablege der Wettiner befindet sich die Bronzeskulptur des Herzogs und in der Rüstkammer der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ist die Rüstung Heinrich des Frommen ausgestellt. Aber an keiner Stelle in Sachsen wird ihm in größerem Umfang gedacht, nirgendwo kann man etwas über sein abenteuerreiches Leben erfahren, über seine Reisen nach Jerusalem und nach Santiago de Compostella, über seine Familie, über seine Jagdleidenschaft und über seinen Kampf um die Reformation.
Ganz neu soll auch ein Ausstellungbereich gestaltet werden, der sich der Geschichte von Wolkenstein und der Region widmet, eng anknüpfend an den Inhalt des Heinrichsaales. Für dieses Thema wurde als passender Ort der sogenannte Turmsaal ausgewählt – der zweite im mittelalterlichen Wohnturm befindliche, bisher ungenutzte Saal. Mit seiner fast sechs Meter hohen Balkendecke und den meterdicken Wänden bietet der Raum eine imposante Kulisse für die Vergangenheit von Ort und Schloss. Jochen Voigt entwickelte zahlreiche Ideen für die Umsetzung. Mittelpunkt des Raumes wird das historische Stadtmodell Wolkensteins sein, das aufwendig restauriert wurde. Da vorgefundene Sachverhalte eindeutig darauf verweisen, dass die Häuser des Modells ursprünglich beleuchtet gedacht waren, entwickelte Voigt Ideen für eine nachträgliche Umsetzung. Die Firma SEIWO-Technik in Scharffenstein war Projektpartner und elektrifizierte das gesamte Modell. Mittels elektronischer Steuerung schalten sich die Beleuchtungen der Häuser automatisch, sodass ein gewisse Lebendigkeit herrscht. Eine zweite Idee Voigts war die musizierende Engelgruppe, die von der hohen Decke des Raumes (also dem Himmel) über dem Stadtbild herabsteigt – im übertragenenen Sinne also göttlichen Segen über Wolkenstein bringt. Diese Installation soll an die Frömmigkeit der damaligen Menschen erinnern, die ihr gesamtes Leben durchdrang. Für die Umsetzung der Idee wurde Holzgestalter Hans Jürgen Schulze aus Frauenstein gewonnen, der einige seiner bekannten Egelfiguren maßstäblich vergrößerte und dadurch der Raumgröße anpasste.
Jochen Voigt entwickelte die grundsätzliche Idee, keine Strahler an abgehängten Lichtschienen für die Beleuchtung des neuen Museums vorzusehen, um die Gewölbe und imposanten Holzdecken optisch nicht zu beeinträchtigen. Vielmehr sollen Vitrinen und Themeninseln aus sich selbst leuchten und ansonsten der natürliche Lauf der Sonne um das Schloss das Licht in den Räumen mitbestimmen.
Nur die Besucher der Wolkensteiner Dachbodenführung wissen, dass sich über dem eben beschriebenen Saal noch ein weiterer befindet, der nur über einen Umweg erreichbar ist. Dieser geheimnisvoll wirkende Raum, der ganz abgeschieden liegt, besaß in mittelalterlicher Zeit eine sogenannte Bohlenstube, von der sich heute nur noch die gotische Eingangstür erhalten hat. Hier ist geplant, die verlorene Bohlenwand wieder aufzubauen und damit den ursprünglichen Raumeindruck zurückzugewinnen.
Auch dieser Saal soll künftig in das Museumskonzept aufgenommen werden. Jochen Voigts Plan sieht vor, die umfangreiche Sammlung von historischen Holzbearbeitungswerkzeugen des Museums sowie weitere bereits zugesagte Werrkzeug-Schenkungen in großen Sammlungsschränken zu präsentieren, die sich ein wenig an historischen Sammlungsschränken orientieren. Auch hier könnte eine einzigartige, in keinem anderen Museum zu findende, Präsentation entstehen.
An Hand der Werkzeuge und der beeindruckenden Balkendecke in diesem Raum kann an die Leistungen der Zimmerleute und Bautischler erinnert werden, die einen großen Anteil an der Errichtung des Schlosses hatten.
Den Höhepunkt während des Rundgangs soll in Zukunft der Fürstensaal bilden, was seiner einstigen Bestimmung nur zu gerecht würde. Hier fanden die Jagdgelage des Herzogs statt. Zum einen soll der Saal künftig wieder gehobenen Veranstaltungen dienen, wie Konzerten und Lesungen. Nach Voigts Konzept soll er auch an die Jagdleidenschaft von Herzog Heinrich und seinem Sohn August erinnern. Dies auf eine ganz besondere Art, die nirgendwo in einem anderen Museum oder in einer anderen Burg zu finden ist, sondern nur in Wolkenstein. Lebensgroße Büsten von kapitalen Hirschen, aus Holz gearbeitet, und mit echten Geweihen versehen, sollen auf Sockeln stehend die Längswände zieren. Jedoch nicht in streng naturalistischer Anmutung, sondern zeitgemäßer freikünstlerischer Interpretation. Für dieses Projekt wurde der bekannte Holzgestalter und Designer Karsten Braune einbezogen und hat erste Prototypen geschaffen. Mit seinen Skulpturen, die man ausdrücklich berühren darf, würde der Raum eine unverwechselbare Ausstrahlung erhalten.
Jedes noch so schöne Museum kann nur überleben, wenn es mit Veränderungen arbeitet. Der Mensch liebt die Abwechslung. Deshalb wurde ein großer Saal im ersten Obergeschoss zu einem Sonderausstellungsraum umgeplant, in dem künftig – wenigstens einmal im Jahr – eine besondere Ausstellung stattfinden kann. Mit eigenen Vitrinen, Rahmen und sonstigen Präsentationsmitteln ausgestattet sowie einem eigenen Beleuchtungssystem versehen soll dieser Raum dafür ideale Voraussetzungen bieten. Leihgaben aus anderen Museen oder Sammlungen erhält man nur, wenn man dafür verlässliche und überprüfbare Bedingungen schafft. Vertrauen spielt eine große Rolle dabei, weshalb ein modern ausgestatteter separater Bereich die wichtigste Voraussetzung für einen künftigen Sonderausstellungsbetrieb ist.
Im Masterplan für das neue Museum in Wolkenstein entwickelte Voigt Ideen für ein eigenes Kindermuseum, denn Kinder haben ein anderes Verständnis für historische Themen, Kinder bewegen andere Fragen, Kinder haben eine andere Betrachtungshöhe, Kinder wollen auch mal etwas für sich allein entdecken.
Dafür sollen aber keine zusätzlichen Räume verwendet werden, die ohnehin nicht vorhanden wären, sondern die Idee zur Realisierung ist eine ganz andere: In vielen Sockeln und Vitrinen des neuen Museums sollen sich Betrachtungslöcher, die weiter unten – also nicht in Blickweite der Erwachsenen – angebracht sind und durch welche die Kinder ihre eigene Welt entdecken können. Parallel zu den Themen für Erwachsene erschließen sich solche, die für Kinder interessant sind. Durch Einhandhörer, die an den Vitrinen angebracht sind, können die Kinder kindgerechte Ausführungen zu den von ihnen entdeckten Situationen und Exponaten abhören – natürlich von Kindern erklärt.
Mittels des eigens für Wolkenstein von Jochen Voigt entwickelten „Amethystbaukastens“ (Werkstoff Holz), könnten die Kinder Architekturen bauen (Schloss, Burg, Kirche, Speicher, Stadtmauer, Kloster usw.), die mit dem Mittelalter in Zusammenhang stehen.